Victory
10. Februar 2023

30: Aufschieberitis

Es gibt ja so Aufgaben, die wollen gemacht werden, die sollen gemacht werden, die müssen gemacht werden. Die liegen dann da so rum, auf meinem Schreibtisch zum Beispiel. Und schauen mich an. Sehr geduldig. Manchmal erinnert mich jemand freundlich daran, dass ich sie noch zu machen habe, das Finanzamt zum Beispiel. Ne, eher das Steuerbüro, soweit kommt es nie, dass das Finanzamt sich bei mir meldet, das wäre jetzt ja dann doch etwas übertrieben. Das ist irgendwie noch eine andere Instanz, so schlimm ist die Aufschieberitis bei mir auch wieder nicht. Ich habe wohl einen eher milderen Verlauf.

Nur mal angenommen, jede Krankheit wäre für irgendetwas gut. Wofür ist die Aufschieberitis das denn dann? Erst Mal verursacht sie ja Stress. Und ein schlechtes Gewissen. Und Stress. Mich jedenfalls stresst sie mal eher unterschwellig, mal sehr vordergründig. Versaut mir auch gerne mal eine gute Zeit, Zeit zum Genießen zum Beispiel, weil sie immer sagt: „Na, das müsste aber jetzt schon noch gemacht werden. Und stattdessen machst Du jetzt das da.“ Ich bin da nicht so gut mit dem Verdrängungsmechanismus ausgestattet, das hat vor und Nachteile. Ich weiß noch, wie ich im Kino saß, statt für die morgige Mathearbeit zu lernen. Der Film war glaub ich ganz gut. Mein Gefühl nicht. Das Geld hätte ich wohl besser anders sinnvoll investiert. Gelernt hätte ich wahrscheinlich trotzdem erst um 21Uhr. Weil das schon immer so war. Bei mir.

Und sie fördert meine Ignoranz. Die Aufschieberitis. Gegenüber wichtigen Angelegenheiten. Und bringt manchmal sogar noch das Symptom genervt sein und schlechte Laune mit sich. Die Nebenwirkungen sind also jetzt nicht unbedingt lebensbedrohlich, aber schon sehr unschön.

Ich wollte nach der guten Seite dieser Krankheit suchen. Also bei mir ist das ja so, dass mir dann immer sehr viele Dinge einfallen, die auch ganz dringend zu tun sind. Die ich vielleicht sogar eigentlich auch nicht unbedingt machen möchte. Die aber dann weniger schlimm sind, als das, was ich eigentlich wirklich dringend zu tun habe. Zum Beispiel hänge ich dann mal noch schnell die Wäsche auf, gieße Blumen, putze das Glasfenster in der Tür, mache dies und das und jenes. Ja, ich glaube, das ist es: Ich erledige also dann plötzlich einiges, was sonst auch gerne meiner Aufschieberitis zum Opfer fällt. Also ist sie ja eigentlich auch wieder gut. Weil dann schiebt sich alles nicht nur auf, sondern auch weg. Von der To-Do-Liste meine ich jetzt. Ja, da ist was dran.

Außerdem habe ich unter Hochdruck schon einige coole Sachen geschafft. Ich habe übrigens in dem Buch von Frau Stahl gelesen, dass ich da gar nichts für kann: So bin ich eben. Druck schafft bei mir Fokus, lässt mich blitzschnelle Entscheidungen treffen. Und es gibt wenig Zeit für Abwägungen. Weil die ist nämlich fatal, die Zeit zum hin und her und hin und her überlegen, da schaffste ja wirklich nix und produzierst nur wenns und abers. Wenn ich damit erst Mal angefangen habe.. oh man, dann gibt es so viele pros und cons, das ist dann einfach nur anstrengend, dieses hin und her. Zack, bisschen Druck, schon läuft das.

Nun ja, und wenn dann da so eine ungeliebte, unbeliebte Aufgabe lange vor sich hin wartet. Und strahlt, Stress ausstrahlt mein ich jetzt, mich quasi aufdringlich anleuchtet und mir zuzwinkert. Und ich dann einen Motivationsschub bekomme und sie erledige, egal ob ex- oder intrinsisch motiviert. Also egal ob ich von außen einen Arschtritt bekomme oder mein innerer Vernünftiger auch mal was zu sagen hat in der lustigen Runde meiner Persönlichkeitsanteile.

Wenn ich sie dann wodurch auch immer motiviert erledige, dann fühlt es sich soooo gut an, so erleichternd, so haaaaa, jaaaaa, jubel, nach Glück eben, quasi eine Art Vernunftsorgasmus. Also wenn der dann da ist, dann denke ich schon so was wie: Oh man, diesen Stress könnte ich mir echt einfach mal sparen, einfach mal früher anfangen. Beim nächsten Mal.

Nee, damit fang ich gar nicht erst an. Wer macht denn dann die ganzen anderen Aufgaben, die auch warten? Und was ist mit dem Zusatzglück? Das nehm ich doch gerne mit, das Hochgefühl dieses einen besonderen Moments, wenn ich den Posten auf der To – Do – Liste stolz als erledigt markiere. 

Ich fang jetzt übrigens mal an. Motivation intrinsisch erzeugt. Mit meiner Liste voller Namen und Zahlen, auf die bereits seit Monaten gewartet wird, kein Scherz jetzt. Gruselig, gruselig.

Das Steuerbüro freut sich bestimmt. Mich nicht mehr freundlich erinnern zu müssen. Denn Glück verdoppelt sich, wenn man es teilt. Danke für Ihre immer wieder Geduld mit mir, Frau W.!

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