Ich reite hinter meiner Kollegin in einer traumhaft schönen Reithalle. Prüfung Trainer C Leistungssport Westernreiten 2009. Prüfungsteil: Pleasure. Ich habe gerade ziemlich wenig Pleasure, ich frage mich eher, was ich hier eigentlich gerade mache. Weil: Meine Kollegin, die da so vor mir her reitet, hatte Sorge, dass ihr Pferd falsch angaloppiert. So habe ich ihr angeboten, mich bemerkbar zu machen, Hustenanfälle gibt’s ja auch beim Reiten schon mal, falls der Fall eintritt und ihr Pferd es tatsächlich in der Prüfung falsch macht. Sehe ich ja dann, sie reitet ja vor mir. Und was geschieht? Ihr Pferd springt richtig an, meins falsch – Jackpot. Weil ich nicht aufgepasst habe. Naja, stimmt ja nicht ganz: Ich habe schon achtgegeben, nur nicht da, wo es für mich auch wirklich sinnvoll gewesen wäre. Das ist so typisch, das ist so doof und das will ich jetzt aber wirklich mal ändern – denke ich. Man kann nur so viel Kuchen teilen wie auch da ist. Und Aufmerksamkeit auch. Ich bin einfach sehr talentiert, den Kuchen so zu verteilen, dass alle satt werden. Um dann festzustellen, dass ich hungrig bleibe. Verdammt.
Das habe ich auch mit vielen anderen Dingen in meinem Leben sehr erfolgreich praktiziert. Zum Beispiel habe ich zu Beginn meiner Selbständigkeit das Geld, das dem Finanzamt gehört, also die Steuern, brav beiseitegelegt. In einer Extrageldkassette, damals war das noch normal, so lange ist das schon her, nämlich 2003. Und das hat so lange gut geklappt, bis das Auto meines damaligen Freundes kaputt ging. Und er keine Taler hatte, um es reparieren zu lassen. So habe ich ihm natürlich das Geld vom Finanzamt geliehen. Alternativ hätte ich ihn immer überall hinfahren oder mein Auto verleihen „müssen“, beides keine Option. Long story short: So fing das mit dem Finanzloch an. Hat ziemlich lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich doof bin. Nein, eigentlich war ich ja gar nicht doof. Eher zu loyal, zu gutgläubig, zu naiv, zu rosarot, zu wasweißichnichtnochalles. Auf jeden Fall essen manche Leute den Kuchen einfach auf und schaffen es dann, mir auch noch das Gefühl zu geben, ich sei dafür verantwortlich. Verdammt.
Der Zeitkuchen ist da ja auch ganz interessant: Ich habe damals also tatsächlich im letzten Jahrtausend noch in 30 und 60Minuten Trainingseinheiten gearbeitet. Da ich ja so ziemlich immer für alles verantwortlich war oder es zumindest glaubte zu sein, habe ich dann immer so lange trainiert, bis es geklappt hat. Was ja manchmal auch einfach nicht in 30Minuten machbar ist. So habe ich also mit einem Kunden ganz regelmäßig quasi jede Trainingseinheit überzogen. Lange überzogen. Bis es geklappt hat, was auch immer. Nebenbei war er eher talentfrei und es ist ihm nicht leichtgefallen, also hatte ich auch noch sehr viel Geduld im Gepäck. Aber er wollte unbedingt reiten lernen, gut reiten lernen und hatte sich ein Pferd gekauft. Ich fands super und habe ihn gerne unterstützt, ich mochte ihn persönlich sehr, er war nämlich wirklich nett. Nette reitende Männer sind selten. Ist er wahrscheinlich immer noch. Nett meine ich.
Eines Tages bzw. abends beendete ich tatsächlich zu meiner großen Freude pünktlich nach 30Minuten wie vereinbart das Training. Er fragte mich: „Machen wir heute früher Schluss?“ Ich war sichtlich irritiert. „Nein, warum?“ „Ja weil es erst viertel vor ist.“ Er glaubte ernsthaft, wir würden immer fünfundvierzig oder mehr Minuten arbeiten. Bei bezahlten 30Minuten. Verdammt.
Diese Liste von Geschichten lässt sich nun endlos fortsetzen. Endlos? Nein, sie endet letzten Freitag.
In zwanzig Jahren Selbständigkeit (allein davon kann ich gefühlt eine phantastilliarden Anekdoten erzählen), mit einem eigenen Reiterhof mit Familie und Mitarbeitenden, mit Therapie und Coaching für mich, denn irgendwo kommt dieses Helfersyndrom und das ichfühlemichimmerfüralleundallesverantwortlich ja her, durch die Arbeit mit den Pferden (die sind so klar, da ist nix mit Helfersyndrom) und vielen vielen weiteren Erfahrungen, die mich haben bluten und fluchen und lernen lassen, bin ich mir dann endlich selbst auf die Schliche gekommen bin.
Letzten Freitag habe ich mit einem Kooperationspartner telefoniert, mit dem ich gerade einige Projekte umsetze. Er ist eine echte Sahneschnitte und verdient selbige auf jeden Fall – keine Krümel, alles echt richtig richtig gut. Wir reden über Geld und Möglichkeiten und Perspektiven. Ja und was höre ich mich da tatsächlich am Telefon sagen? „Wenn genug Kuchen da ist, teile ich ihn sehr gerne.“ Verdammt gut.