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6. Juli 2022

03: Der Mann

06.01.2019 Da ist er. Der Mann, auf den ich seit immer warte. Den ich schon überall gesucht habe. Kommt zur Tür hereinspaziert, genaugenommen durch die Hintertür meiner Reithalle. Er ist unserer Einladung zum Tag der offenen Tür gefolgt. Wir hatten die Idee, bevor das Dorf sich die Geschichten über uns selbst ausdenkt, einfach alle einzuladen. Und wir hatten auch Lust das Dorf kennenzulernen. Von Tür zu Tür gehen ist ja dann auch bei 420Einwohner*innen ein bisschen viel. Ok. Er hat seine Frau und seine Kinder mitgebracht. Dann ist er wohl vergeben. Dann warte ich halt. Bis irgendwann. Auch seine Eltern sind dabei, seine Freunde, ungefähr das halbe Dorf. So hatte ich es bestellt: Der Mann, der in mein Leben kommt, bringt seine Community mit. Die hat nämlich Einfluss, so viel habe ich von den Beziehungsgefügen der Menschheit bereits verstanden. Da will ich die schon mal vorab kennenlernen, auf diese Überraschungstüten habe ich keine Lust mehr, da will ich jetzt mal vorher wissen, auf was und wen ich mich da einlasse. Son Mann hat ja immer gleich einen ganzen Zirkel, der ihn in Lebensangelegenheiten berät. Und außerdem habe ich ja jetzt eh erst Mal damit zu tun, meinen Hof aufzubauen, umzubauen, da bleibt nicht viel Zeit für die Liebe und so. Passt also. Naja, und bis wir irgendwann zusammen sein können, das wird sich ja dann schon ergeben, genieße ich halt mein Leben vielleicht mit einem Zwischenmann oder so. Mit meinem Übergangsmann nach meiner letzten Beziehung, um mich überhaupt mal so als Frau wieder zu finden nach dieser sehr heilenden Narzissten – Empathen entweder ich lerne oder ich sterbe Beziehung mit meinem Ex war es ja auch eine super Zeit. Mal sehen, es wird sich entwickeln.


Wir begegnen uns auf der Straße, immer wieder. Er ist ja mein neuer Nachbar, daher ist das ein ganz natürlicher Vorgang. Wir plaudern dann ein wenig, auch mit anderen gemeinsam, er fühlt sich so gut an. Und ich habe Zeit. Erstens: Er ist verheiratet. Da ist es ein Gesetz respektvoll auf Abstand zu bleiben. Mein Vater hat das ja nicht so gehalten als er verheiratet war. Das war nicht schön. Zweitens: Geduldig sein. Was zu mir gehört findet zu mir. Let it flow. Hat mal ein Musikermann zu mir gesagt, den ich gedatet habe. Oder er mich. Oder wir uns. Mach ich. Danke.


Bei einer weiteren Begegnung sieht er scheiße aus. Ich frage ihn, wie es ihm geht. Oh, sagt er, seine Frau hat ihn verlassen, sie ist ausgezogen.
Das tut mir so leid. – Krass, so schnell geht das?
Sie hat einen anderen.
Auweia. Danke, liebe Ehefrau. Danke. Danke. Danke.


Jetzt nur nicht auf die Idee kommen, ihm meine Hilfe anzubieten. Ein Ohr, ich bin für Dich da, schnulz. Nein. Außerdem braucht er sowieso erst noch eine andere Frau, eine Zwischenfrau. Damit er nach 14 Jahren Beziehung und 12jähriger Ehe nicht in eine Beziehung hineinschliddert, die ihn tröstet. Ich bin geduldig. Und habe Vertrauen. Und einen Hof gekauft also viel zu tun. Und ich bin privat nicht Dein Coach, das geht nicht gut, das weiß ich aus Erfahrung.


Seine Zwischenfrau lässt auch nicht lange auf sich warten. Wenn ich ihnen begegne, spüre ich unsere Verbundenheit. Also seine und meine. Ich bin geduldig. Ich habe Vertrauen. Und habe zu tun.


Als mein Schien – und mein Wadenbein bei einer von mir sehr ungeschickten Aktion am 20.04.2019 bricht, sehe ich, während ich auf der Wiese vor meinem Haus einfach umfalle, weil ja mein Bein nicht mehr stehen kann, meinen Vater mein Energiefeld verlassen. Die neue Energie ist da. Ich habe die höllischsten Schmerzen und bin kurz vor einer Ohnmacht. Ich schaffe es nie, wirklich ohnmächtig zu werden. So leicht gibt mein Unterbewusstsein die Kontrolle nicht ab. Ha. Und während ich da so unwirklich realisiere, was gerade geschieht, lächle ich: Ich habe es geschafft. Die zerstörerische männliche Energie, die mir mein Leben geschenkt und genommen hat, ist raus. Aus meinem System. Es ist Platz für echte männliche Energie. Dass es bei mir aber auch immer gleich so dramatisch
ablaufen muss. Kann ich so was nicht einfach mal normal machen? Ach ja nein, normal ist mein Leben ja nicht. Hatte ich vergessen.


Meine Umzugskartons werden ohne mich gepackt, also eigentlich findet mein ganzer Umzug zwei Tage später ohne mich statt. Ich liege ja im Krankenhaus.


Als ich entlassen werde und in meinem neuen Leben auf meinem Hof ankomme realisiere ich nach kurzer Zeit das Ausmaß meiner ganz persönlichen Katastrophe: Ich habe nicht nur keine Ahnung wo meine Socken oder überhaupt irgendetwas ist, da ich ja weder mein Haus kenne noch bei meinem Umzug dabei war. Ich bin auch noch voll auf Droge und weiß zwei Stunden später nicht mehr, was ich zuvor gesagt habe. Vorstufe zu Morphium, na fein. Die Schmerzen sind dann allerdings ganz gut auszuhalten. Einen Tod muss ich sterben. Nach einem kleinen feinen Nervenzusammenbruch überlegen sich meine Freundinnen, dass sie etwas unternehmen müssen. Ich glaube es war sowohl eine Art freundschaftlich verbundener Dienst als auch eine Art Eigenschutzmaßnahme. Sie fragen meinen Nachbarn nach Holz. Er bringt es natürlich gerne. Wenn er sich auch etwas darüber wundert, dass wir Holz brauchen, obwohl sehr viel Holz vor unserer Tür liegt.. Egal, er ist da. Mit seinem jüngsten Sohn kommt er mich besuchen. Ich mit zugedröhntem Schädel und meine Schwester gerade heulend ein Bild aufhängend, das sie mir irgendwann einmal geschenkt hat. Sie und ich sind im Gespräch über ihre wahrscheinlich bevorstehende Trennung. Und da ist sie wieder, als er den Raum betritt, diese unglaubliche Anziehungskraft. Von der ich immer geahnt habe, dass es sie gibt. Und daran geglaubt habe, dass sie mir begegnet. Mein Lieblingsautor schreibt, wer an Wunder glaubt, dem begegnen auch Wunder. Hier ist meins. Und diese verdammte Gewissheit, dass wir zusammengehören, irgendwann. Ich spüre sie in jeder Zelle. Trotz Drogen im Kopf.


An den darauffolgenden Tagen gibt es immer wieder Gründe, dass er bei mir auftaucht: Das Holz vor meiner Tür muss ja noch geschnitten werden, mein Hund geht mit ihm zum Joggen, das kann ich ja gerade nicht, und diverses. Zum Beispiel müssen wir über seine Wiese sprechen, die ich jetzt gepachtet habe. Sie liegt quasi direkt an meinen Wiesen, perfekt.


Dafür braucht es schon einige Gespräche. Und eine Zaunbegehung. Zu der lädt er mich ein und ich krücke an einem Donnerstagabend rüber. Mein Hund sieht ihn als erstes, unsere Besprechung findet also auf einer Picknickdecke statt. Bei angenehmer Musik, kleinen Köstlichkeiten und zauberhafter Energie in der Luft. Und er küsst wunderbar. Auch heute noch.

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