Rote Dreads
15. November 2022

18: Um Haaresbreite

Wenn man die Hundehaare lange genug liegen lässt, bilden sich Knäule. Die kann man dann als Ganzes aufheben und wahlweise in den Biomüll bringen. Die Pferdehaare sind hier auch überall, ebenso die Katzenhaare. Nix für Tierhaarallergiker, unser Haus und unser Hof.

Es gibt ja Pferde und Hunde, die aufgrund eines Gendefekts keine Allergien auslösen. Die haben dann Locken. Und dann gibt es Menschen, die egal ob mit oder ohne Haare Allergien auslösen. Aber das ist ein anderer Blog.

Haare sind ja schon auch eine Ausdrucksform. Manches sucht mensch sich aber auch nicht aus: Wer erblich bedingt eine Glatze oder Geheimratsecken oder Locken oder fiseliges Haar hat, der hat ja einfach mal keine Wahl. Oder wer seine Haare aufgrund einer Therapie verliert auch nicht. Der hat nur die Perückenwahl. Und da habe ich schon des Öfteren erlebt, dass lieber Tücher getragen werden, als eine kratzige oder eine sich irgendwie seltsam und fremd anfühlende Perücke.

Ich war ja mit meinen Frisuren quasi der personifizierte Widerstand auf dem katholischen Mädchengymnasium. In der Grundschule bin ich mit einer blonden Strähne gestartet. Dann ging es auf der weiterführenden Schule weiter mit einer blauen Strähne, die sich mit jedem Friseurbesuch über den Kopf immer mehr ausbreitete. Und weil das ja alles ganz schön viel Geld kostet und es auch immer so lange beim Friseur dauert, bin ich dann selbst aktiv geworden: Einen Rasierer, Farbe, alles, was das Teenie – Herz begehrt habe ich angeschafft und mich einfach ausprobiert. Und wenn die ersten Hemmungen erst Mal weg sind, ist es eigentlich ganz leicht: Lila, grün, alles, was Spaß macht. Manchmal auch mehrere Farben gleichzeitig.

Apropos grün: Bei den Pfadfindern haben wir mal so ein Stück aufgeführt, das an eines unserer Zeltlager erinnern sollte. Da war ich das grüne Männchen von den Monschauer Bergen. Da wollte mich doch allen Ernstes der Herr Pastor nicht in die Kirche lassen. Wegen meiner grünen Haare. Ob es Gott wichtig ist, welche Haarfarbe ich auf dem Kopf trage? Naja, ich hatte damals schon so meine Zweifel. Mit Gott war ich eigentlich immer ganz fein, sein Bodenpersonal hat aber auch später dafür gesorgt, dass ich lieber bewusst an ausgesuchte Organisationen spende. Bis heute.

Auf den Westernreitturnieren und in der Pferdeszene war ich dann später nicht die Christine Neuner, ich war „die mit den Haaren“. Das war zwar ursprünglich nicht meine Absicht, aber aufgrund meiner Dreadlocks war ich dann allgemein bekannt. Auch gut. Meine Dreads habe ich, während ich zur Zeit meiner Ausbildung als Pferdewirtin im Circuswagen gewohnt habe, immer mit Henna gefärbt. Dafür bin ich abends mit der Farbe auf dem Kopf und einem Handtuch drumherum ins Bett gegangen. Und morgens vor der Arbeit habe ich dann in der Pferdewaschbox das Henna aus den Dreads wieder herausgewaschen, eine ganz schöne Sauerei so im Nachhinein. Die Solardusche am Circuswagen hatte einfach nicht genug Druck. Da musste schon Pferdewaschdruck her. Mit einer Waschmarke aus der Dose meiner Chefin gabs den sogar in warm. Hat super funktioniert: Strahlender Glanz, perfekte Pflege, langanhaltende Farbe. Bis der Ansatz wieder zu weit rausgewachsen war, dann habe ich wieder neu gefärbt. Und ausgewaschen.

Irgendwann gingen mir meine verfilzten Haare bis zum Arsch. Und wenn ich dann im Sommer mit meinem Hund Sam abends nach der Arbeit am Baggersee zum Schwimmen war, fühlte es sich immer schwerer und schwerer an. Meine Haare haben mich regelrecht ins Wasser nach hinten gezogen. Kein schönes Gefühl.

Und dann hatte ich Lust auf Leichtigkeit. Und habe sie alle abrasiert. * Das Gefühl unter der Dusche danach (ich wohnte mittlerweile wieder in einem echten Haus): Soooo unbeschreiblich unglaublich und leicht. Und sofort trocken. Einmal mit dem Handtuch über den Kopf – fertig. Pflegeleicht.

Gut, das Nachwachsen lassen war dann grausam. Also dann, wenn die Haare nicht mehr kurz und noch nicht lang sind. Überlebt. Und dann hatte ich Lust auf Normalität. Und habe sie dann doch wieder gefärbt. Blond und so, mit in der Sonne Aufheller. Das gabs da auch schon vegan und tierleidfrei und so, wie grün und blau und lila vorher auch, Henna ist ja sowieso pflanzlich. War mir immer wichtig.

Und dann gab es mal eine Zeit, da habe ich mir morgens immer ein bisschen Glitzer auf den Kopf gestreut. Keine Ahnung, ob das jemals einer Menschenseele aufgefallen ist. Ich hatte damals die Idee, dass mich das beim mich selbst finden unterstützen könnte. Ein bisschen Glitzer auf dem Boden der Tatsachen soll ja helfen. Ob es das war? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall habe ich in Bescheid auf mich gewartet. Einige Jahre später. Da sagte dann auch eines Tages einer zu mir: Lass Deine Haare doch mal ganz natürlich. Und ich hab’s getan. Bis heute. Und habe jetzt tatsächlich auch eine wundervolle Friseurin, die für mich weltbeste ihrer Art. Ich glaube, sie macht auch heimlich immer ein bisschen Glitzer auf meinen Kopf, wenn sie mir die Haare schneidet. Zumindest fühle ich mich danach so. Oder vielleicht auch, weil Haare ja wie Bäume sind: Sie speichern alles. Und wenn wir sie abschneiden, ist es ja voll so was wie loslassen und so.

Einen grauen Fleck habe ich tatsächlich schon, hinten links am Hinterkopf. Kreisrund. Der Rest ist Originalfarbe. Vielleicht habe ich ja auch mit vierundvierzig noch so viel echtes Straßenköterblond mit natürlichen SonnenSträhnchen, weil ich so viele Jahre alle anderen Farben getragen habe und dadurch die Echte sozusagen aufgespart habe? Wer weiß das schon.

* Wer es wissen will: Ich hab sie noch, die roten Dreads. Ganz tief unten in meiner Andenkenkiste.

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